Mit Erfindergeist aufs Podium

Eine der 16 Wettbewerbs-Sportarten bei den Special Olympics Landesspielen Bayern 2022 in Regensburg für Menschen mit geistiger und mehrfacher Beeinträchtigung ist das italienische Kugel-Spiel Boccia. Dabei geht es darum pro Team oder Spieler vier Kugeln einer Farbe möglichst nah an die Zielkugel „Pallino“ heranzurollen. Dabei dürfen sowohl diese als auch gegnerische Kugeln weggeschossen werden. Nach jeder Runde werden die Punkte berechnet. Spielt ein Team mit roten Kugeln, erhält es für jede einen Punkt, die näher als die grünen Kugeln des gegnerischen Teams an der Zielkugel liegt. Pro Runde ergeben sich so bis zu vier mögliche Punkte. Boccia kann in der Mannschaft, einzeln oder im Doppel gespielt werden.

Betritt man die RT-Mehrzweckhalle, in der die Boccia-Wettbewerbe von Mittwoch bis Freitag stattfanden, fallen sofort drei Athleten und eine Athletin auf. Sie heben sich von den anderen ab, denn sie sitzen im Rollstuhl. Einer von ihnen ist der 28-Jährige Sebastian Plößner mit der Startnummer 246, der seit 2014 Boccia spielt. Die Spiele in Regensburg sind sein erstes großes Turnier. „Ich war sehr nervös“, gibt er zu. Aber das merkt man dem Sportler nicht an, denn in der Klassifizierung katapultiert er sich mit einem Spitzenergebnis in die Leistungsgruppe 1 beim Einzel. „Damit hätte ich nicht gerechnet, es war eine große Überraschung“, freut sich Sebastian, der für den HPZ Rehasport e.V. Irchenrieth startet.

Sebastian Plößner mit seinen Trainerinnen Jolina Fleißer (links) und Kristina Schmid (rechts) (Bild: Braun/ Vojtěchová)

Aufgrund seines Rollstuhls unterscheidet sich Sebastians Spieltechnik von der der anderen. Er hat eine Rampe und Helfer, die ihn beim Rollen der Kugel unterstützen. Ausrichtung und Neigung der Rinne bestimmt der Athlet, der Unterstützende leistet seinen Anweisungen Folge und gemeinsam lassen sie die Kugel rollen. Allerdings stießen sie dabei auf ein Problem: Das Gefälle der Rampe war zu steil und die Kugel rollte aufgrund der hohen Geschwindigkeit oft zu weit. Einer seiner Helfer kam auf die Idee einen Karton zum Abflachen der Rinne zu verwenden. „Das war eine tolle Idee. Es hat mir geholfen“, erklärt Sebastian begeistert.

Mit seinen Trainerinnen Kristina Schmid und Jolina Fleißer trainiert Sebastian Plößner jeden Donnerstag für 45 Minuten in der Sporthalle der örtlichen Schule. Durch die Pandemie konnten sie die Vorbereitungen auf den Wettbewerb bei Special Olympics Bayern erst im April beginnen, aber anhand seiner Ergebnisse zeigt sich, dass das Training trotz der kurzen Zeit sehr erfolgreich war. Neben dem Sport hört Sebastian am liebsten Volksmusik und schaut gerne Fußball. Sein Lieblingsverein ist der FC Bayern München, das Logo trägt er stolz auf den beiden großen Reifen seines Rollstuhls.

Feinabstimmung mit unkonventionellen Hilfsmitteln. Ein Karton bringt den gewünschten Erfolg (Bild: Braun/ Vojtěchová)

Beim Einzelwettbewerb am Donnerstag erreicht Sebastian Plößner den fünften Platz, doch die anschließend von Horst Demmelmayr, dem Bayerischen Landeskoordinator der Sportart, gehaltene emotionale Rede motiviert ihn noch mehr. „Mir sind fast die Tränen gekommen“, erinnert er sich am Freitag. Zu hören, dass er ein Vorbild für viele andere Menschen ist und seine Leistung bewundert wird, macht ihn sehr glücklich und gibt ihm Energie für die Wettbewerbe im Doppel. Und es klappt. Gemeinsam mit seinem Teamkollegen gewinnt er drei Spiele in Folge, eines davon haushoch mit 9:0. Als ihm sein Helfer kurz vor dem Finale mitteilt, dass eine Medaille sicher ist, kann Sebastian es kaum glauben. „Nein, oder?“ ruft er überrascht und schaut zu seinen Trainerinnen. Als diese ihm bestätigend zunicken, reißt er jubelnd die Arme in die Luft und die drei umarmen sich voller Freude. Am Ende spielt sich das Team des HPZ Rehasport e.V. Irchenrieth in der Leistungsklasse 3 auf den zweiten Platz und der außergewöhnliche Athlet erreicht sein großes Ziel: Eine Medaille.

 

Text: Angelina Braun/Apolena Vojtěchová, Studierende der Universität Regensburg